Früher Herbstmorgen: Der digitale, batteriebetriebene Funkwecker klingelt. Draußen ist es noch dunkel. Der zweite Handgriff nach dem Ausschalten des nervigen Wecktons geht zum Lichtschalter neben dem Bett. Zum Aufstehen aufraffen, in die Küche schlurfen, Licht an, gasbetriebene Heizung an. Kaffee in die elektrische Kaffeemühle geben, eingeflogen aus der Nähe des Äquators, mahlen. Wasserkocher anstellen. Hochverarbeitete Milch im „umweltschonenden“ Tetra Pak, quer durch Deutschland per LKW transportiert, aus dem Kühlschrank holen. Aufbrühen, Milch eingießen. Erster Griff zum Smartphone, Laptop aufklappen, W-LAN Router sendet, Verbindung zum Netz hergestellt, E-Mails vom Server abrufen, überfliegen, Laptop wieder zuklappen. Weg zur Dusche nehmen, Warmwasser sprudelt direkt aus der Leitung. Danach die Kleidung überziehen, Baumwolle aus Indien, genäht in Bangladesch. Licht aus, das Haus verlassen, ins mit Benzin befeuerte Automobil steigen: Fahrt zur Arbeit.

Diese verdichtete Morgenroutine bedeutet für viele Deutsche den Normalzustand und vermittelt bereits mustergültig die Omnipräsenz von Energie in unseren Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz. Fast jede Handlung, die während der 24 Stunden eines Tages ausgeführt, und fast jedes technische Gerät, das innerhalb dieses Zeitrahmens genutzt wird, hängt vom hauptsächlich durch fossile Energien gespeisten Energienetz ab. Unser gesamter Lebensstil basiert auf über Jahrmillionen in Kohle, Gas und Öl transformierter Biomasse. Der Einwurf, daß mit den Erneuerbaren eine alternative Energiequelle bereitstünde, die nicht auf dem fossilen Energieregime beruht, ist ein Trugschluß. Denn in ihrer aktuellen technischen Umsetzung sind auch diese Energieerzeuger von fossilen Rohstoffen abhängig. Spätestens die petrochemische Herstellung bestimmter Einzelteile der Solar- und Windkraftanlagen, also die Gewinnung chemischer Produkte über die Ausgangsstoffe Erdgas und Erdöl, besiegelt ihre unweigerliche Einbettung in die fossilen Kraftströme der Moderne.

Zugespitzt: Am Ausgang jedes vom Menschen ausgelösten Umweltproblems steht die Manipulation von Energieströmen. Energie ist der übersehene und mißachtete Faktor des Bevölkerungswachstums, der Wohlstandsproduktion, des Anstiegs der Lebenserwartung usw. Energie setzt die Rahmenbedingungen, in denen sich eine Gesellschaft entwickeln kann. Wohlfahrt, Urlaub, Abschaffung der Kinderarbeit, Emanzipation der Frau – die Liste ließe sich seitenweise weiterführen. Jedes progressive Programm wird auf dem Rücken fossiler Rohstoffe realisiert. Jedes konservative Mahnen zur notwendigen Einhegung des Individuums wird mit der nächsten Tonne verfeuerter Kohle weggewischt.

Derweil steigt das über das letzte Jahrhundert angehäufte und weiter unbeirrt geführte ökologische und gesellschaftliche Schuldenkonto. In dem Moment, wo die Tragfähigkeit des energetisch-technologischen Komplexes überlastet wird, muß es jedoch unweigerlich beglichen werden. Der Preis wird dann exorbitant hoch sein.

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Die Kehre ist eine Zeitschrift, die die Ökologie aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet. Jedes Jahr erscheinen vier Ausgaben, die mal mehr, mal weniger thematisch gebunden sind.

geb. 1989, ist Chefredakteur der Zeitschrift »Die Kehre«. Studium der Politkwissenschaft sowie der Soziologie und Sozialforschung (M.A.).

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