Als zentraler Vordenker der Nouvelle Droite gehört Alain de Benoist zweifelsohne zu den wichtigsten zeitgenössischen europäischen Geistesgrößen. Seine zahlreichen Arbeiten lieferten den ideellen Nährboden für eine grundlegende Neuausrichtung politisch rechter Strömungen in Europa nach 1945. Er propagierte die Konzeption von Theorien als unabdingbare Basis einer „Kulturrevolution von rechts“ und suchte damit, dem chronisch theorieaversen Konservativen die Notwendigkeit eines metapolitischen Ansatzes als mobilisierendes Mittel zu verdeutlichen. Neben seinen Werken zur Kritik am Universalismus, dem Egalitarismus und geopolitischem Imperialismus hat Benoist etliche Aufsätze und Bücher zur ökologischen Krise der Industrie- und Konsumgesellschaften westlicher Provenienz verfaßt. Wir haben mit ihm über die energetische Basis der liberalen Moderne, die Unzulänglichkeiten des Kapitalismus und die Unausweichlichkeit des Postwachstums gesprochen.


Alain de Benoist – Vordenker der Nouvelle Droite

Herr de Benoist, um gleich zum Kern des Ganzen zu kommen: Welche Rolle spielt Ihrer Ansicht nach „Energie“ für die Entstehung und den Fortbestand der Moderne bzw. des Liberalismus?

Die Energiefrage ist natürlich ein Kernproblem. Der Großteil der Energieressourcen stammt aus natürlichen Beständen (Erdöl, Gas usw.), deren Entstehungsprozeß Millionen von Jahren in Anspruch nahm. Jahrhundertelang glaubte man, diese Reserven seien unerschöpflich und kostenlos. Heute ist bekannt, daß dies nicht der Fall ist. Die kommende Erschöpfung der fossilen Ressourcen (unabhängig von den einzelnen konkret verfügbaren Mengen) ist um so besorgniserregender, als ja der Bedarf ständig zunimmt. Der Verbrauch der natürlichen Ressourcen ist in der Moderne stark angestiegen, nämlich durch die Industrialisierung und die systematische Profitgier. Heute sind sich alle darüber einig, aber die vorgeschlagenen Lösungen sind den Herausforderungen nicht gewachsen.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen den Ausschlägen des „Zeitalters der Extreme“, wie der marxistische Historiker Eric Hobsbawm das 20. Jahrhundert taufte, und der Mobilisierung fossiler Energien?

Ich weiß nicht, ob man eine Korrelation zwischen den „Ausschlägen“, wie Sie es nennen, und der Mobilisierung fossiler Energien herstellen kann, aber man könnte das „Jahrhundert der Extreme“ als eine Zeit charakterisieren, in der man versucht hat, sich gemäß dem Diktat des liberalen Kapitalismus von allen Grenzen zu befreien. Seit Jahrzehnten lautet das allgemeine Motto: „Immer mehr!“ Der ökologische Realismus zeigt, daß dies gewiß nicht immer das Beste ist und daß ein Moment kommt, in dem es besser ist, zu sagen: „Das reicht, es ist genug!“

In Übereinstimmung mit dem deutschen Universalgelehrten Rolf Peter Sieferle charakterisieren Sie in Ihrem Werk Abschied vom Wachstum das 21. Jahrhundert als einen Zeitabschnitt, in dem die Fluidität zum dominanten Prinzip wird – „das Vergängliche anstelle des Haltbaren, (…) nomadische Beziehungen anstelle verwurzelter sozialer Bande“. Das alles geschieht auf dem Rücken fossiler Ressourcen. Welche ökologischen Probleme sehen Sie aus dieser Entwicklung hervorgehen?

Die Idee, daß die heutige Welt hauptsächlich durch „Fluidität“ gekennzeichnet ist, wurde von Zygmunt Bauman in seinen Arbeiten über die „flüchtige Gesellschaft“[1] ausformuliert. Er zeigt sehr deutlich, daß alles, was einst fest, nachhaltig, dauerhaft war, vergänglich, vorübergehend, unbeständig wird – sei es im Bereich der Arbeit, im Wahlverhalten oder in den Liebesbeziehungen usw. Die flüssige Gesellschaft ist eine „maritime“ Gesellschaft, da sie nur Ströme und Rückflüsse kennt. In dieser Hinsicht lehnt sie die „kontinentalen“ bzw. „tellurischen“ Gesellschaften ab, wie Carl Schmitt den Gegensatz zwischen Land und Meer umschrieb. Der Handel ist eine „maritime“, die Politik eine „territoriale“ Tätigkeit. Ich glaube nicht, daß die gegenwärtigen Umweltprobleme auf diese Entwicklung zurückzuführen sind. Diese Probleme waren schon vor ihrem Auftreten vorhanden. Wenn sie sich heute noch verschlimmern, so vor allem deshalb, weil die Besessenheit ob stetiger „Entwicklung“ die Oberhand gewinnt.

Wie ordnet sich hier unsere Form des wachstumsfixierten Wirtschaftens ein?

Liberale Autoren gehen von einem „selbstregulierenden“ Markt aus: Sie glauben, daß die „unsichtbare Hand“ (Adam Smith) auf den Märkten um so effizienter ist, als alle politischen, kulturellen oder ökologischen Hindernisse beseitigt werden, die eine zu erreichende Handelsfreiheit behindern könnten. Unter diesem Gesichtspunkt ist klar, daß Umweltbelange nachrangig behandelt werden müssen. Jene liberalen Autoren führen alle Werte auf den einzigen Wert des Handels zurück. Sie halten alles, was in Bezug auf Berechnung und Quantität nicht nachvollziehbar ist, für nicht vorhanden. Die Lebensqualität ist ihnen gleichgültig, da sie nicht quantifizierbar ist. Bereits aus diesen Gründen läßt sich die grundlegende Logik des liberalen Kapitalismus, die eine Logik der Unbegrenztheit, d. h. der Maßlosigkeit (hybris) ist, als nicht mit der Anforderung der Erhaltung der Ökosysteme vereinbar beschreiben…

Das gesamte Interview mit dem französischen Philosophen Alain de Benoist finden Sie in der dritten Ausgabe der Kehre. Bestellen Sie hier das Heft.


[1]     Vgl. Bauman, Zygmunt (2000): Liquid Modernity, Cambridge (Polity Press), dt.: Die flüchtige Moderne, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 2003; ders. (2005): Liquid Life, Cambridge (Polity Press), dt.: Leben in der flüchtigen Moderne, Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 2003; ders. (2007): Liquid Times: Living in an Age of Uncertainty, Cambridge (Polity Press), dt.: Flüchtige Zeiten: Leben in der Ungewissheit, Hamburg (Hamburger Edition) 2008; ders. (2019): Born Liquid. Transformations in the Third Millennium mit Thomas Leoncini (aus dem Italienischen übersetzt 2017), Cambridge (Polity Press).

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Die Kehre ist eine Zeitschrift, die die Ökologie aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet. Jedes Jahr erscheinen vier Ausgaben, die mal mehr, mal weniger thematisch gebunden sind.

geb. 1989, ist Chefredakteur der Zeitschrift »Die Kehre«. Studium der Politkwissenschaft sowie der Soziologie und Sozialforschung (M.A.).

Ein Kommentar

  1. J.S. 29. Mai 2021 um 14:27 - Antworten

    „Kapitalismus in Frage stellen“ = „Anti-Kapitalismus“ = Kommunismus = Links-Ideologie resp. Kollektivismus = (roter, schwarzer oder brauner) Faschismus

    Nach 200 Jahren theoretischem und 100 Jahren praktiziertem Kollektivismus sollte es für jeden freiheitlich denkenden Menschen eher heißen: „Wer von Ökologie nur spricht um die Ökonomie des freien Marktes zu verunglimpfen, sollte lieber seinen Mund halten.“

    Eine freie Gesellschaft mit freien Bürgern, freien Konsumenten, mit einem funktionierenden Wettbewerbsmarkt und mit einer freien, offenen Debatte kann ohne eine faschistische Staatsorganisation sehr wohl die Umwelt durch Gestze schützen.

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