4:30 Uhr, der Wecker klingelt. Ich steige aus dem Bett und bin sofort wach. Die tägliche Routine beginnt. Auf leisen Sohlen schleiche ich mich aus dem Schlafzimmer, in der Hoffnung, meine bessere Hälfte nicht geweckt zu haben. Es geht direkt ins Büro, das mir morgens zudem als Sportraum dient. Nach einem halbstündigen Morgentraining verlasse ich die Räumlichkeiten und begebe mich nach draußen in den Heizungskeller. Trotz der vergleichsweise milden Temperaturen in der Nacht muß ich Holz nachlegen. Die Schubkarre mit den Holzscheiten habe ich bereits am Vorabend gefüllt, so daß ich sie nur noch nehmen und den Ofen befüllen muß. Sobald der Ofen läuft, gehe ich zurück ins Haus: Das Frühstück ruft. Die morgendliche Ruhe ist der ideale Zeitpunkt, um die Aufgaben des Tages durchzugehen und den Tagesablauf zu strukturieren.

Gegen 6:00 Uhr betrete ich zum ersten Mal den Stall. Zusammen mit einem Angestellten melke ich die Kühe. Die letzten Melkdurchgänge melkt er allein, ich fahre in der Zwischenzeit das Futter in den Stall. Gegen 7:30 Uhr ist das Melken beendet. Gemeinsam schauen wir nach den Kälbern, die bei den Ammenkühen aufwachsen. Hier müssen wir schauen, daß die Kälber zur Kuh finden und umgekehrt. Wenn das so weit garantiert ist, heißt es für mich, die Liegeflächen mit Stroh einzustreuen und die Bullen und unsere Schweine zu füttern. Zwischen halb neun und neun sind wir dann fertig. Danach gibt es ein gemeinsames Frühstück mit den Mitarbeitern.

Normalerweise sind wir zu dritt am Tisch. Mein Stallmitarbeiter und mein Helfer in der Fleischverarbeitung und der Vermarktung und ich selbst. Gelegentlich gesellen sich auch meine Mutter, meine Freundin oder mein Großvater hinzu. Im Winter ist es um die Feldarbeit ruhig bestellt. Maschinenpflege und Wartung der Hofanlagen genießen jetzt Priorität. Und die Brennholzernte. Heute jedoch ist Schlachttag. Ein Schwein hat mein Mitarbeiter bereits geschlachtet und zerlegt. Wir wollen nun noch mit zwei Bullen fortfahren. Thomas, mein Mitarbeiter für den Stall, kümmert sich derweil um den alten Traktor: Er verliert Öl. „Keine große Sache“ meint Thomas, der gelernter Schlosser ist, aber schon seit Jahren auf unserem Hof arbeitet, weil er keine Lust mehr auf den Streß in einer Autowerkstatt hatte. Neben Andreas, meinem zweiten Mitarbeiter, kümmern sich meine Mutter und meine Freundin um den Verkauf im Hofladen. Hin und wieder muß ich selbst aushelfen. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist groß. Man merkt, daß die Feiertage vor der Tür stehen: Die Liste der Vorbestellungen ist lang. Am Nachmittag beginnt um 16:00 Uhr die zweite Melkzeit des Tages. Gegen 18:00 Uhr ist die Arbeit meist getan, dann heißt es rein in die Stube.

Warum werde ich am 8. Januar trotz unseres auskömmlichen Hofs auf die Straße gehen? Nun, die Politik der Ampelregierung läßt mir keine andere Wahl. Neue Beschlüsse sehen vor, daß der für Landwirte vergünstigte Diesel, der sogenannte Agrardiesel, nicht mehr steuerlich subventioniert werden soll. Zusätzlich sollen nun auch landwirtschaftlich genutzte Geräte wie Traktoren, Mähdrescher und Anhänger einer Kfz-Versicherungspflicht unterworfen werden. Bisher galt dafür eine Ausnahme, weil diese Maschinen ja vorrangig auf Wiesen und Äckern im Einsatz sind. Allein das Aus für den Agrardiesel bedeutet, daß wir einen Monatslohn für einen zum Mindestlohn beschäftigten Mitarbeiter mehr erwirtschaften müssen: 2.500 Euro Mehrkosten sind das pro Monat. Noch nicht absehbar ist die finanzielle Mehrbelastung durch die Kfz-Versicherungspflicht. Aber auch hier ist mit mehreren tausend Euro zu rechnen. Wir nagen nicht am Hungertuch, aber die Luft wird dünner.

In den letzten zehn Jahren gab es für uns Landwirte nicht viel zu lachen. Bereits seit 2014 und dem Wegbrechen des russischen Exportmarktes im Zuge der Annexion der Krim müssen die deutschen Landwirte erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen. Gleichzeitig sind die Kosten durch politische Entscheidungen in einem Maße gestiegen, das bald nicht mehr tragbar sein wird. Als Landwirt ist der Boden, auf dem man wirtschaftet, ein essentieller Produktionsfaktor. Man ist an seinen Standort gebunden und kann ihm nicht ohne weiteres den Rücken kehren. Eine Vergrößerung des Betriebes ist für mich nicht möglich: Es gibt in der Nähe keine weiteren Flächen, die zu vernünftigen Preisen gepachtet werden können. Durch bürokratische Bestimmungen, sich ständig ändernde Vorschriften zum Tierwohl oder die anhaltende Kostensteigerung u.a. wird es zunehmend schwerer, mit ausländischen Waren zu konkurrieren. Dabei werden in diesen Staaten keine ökologischen oder sozialrechtlichen Standards eingehalten wie bei uns. All dies führt zudem zu einer Planungsunsicherheit, in der man sich mit Investitionen zurückhält.

Auch ein Ausbau der Direktvermarktung von Milchprodukten ist zunächst mit Investitionen verbunden. Derzeit ist aber noch nicht einmal die Sicherheit für die Weiterführung des Betriebes gegeben, an Investitionen und neue Kredite ist nicht zu denken. Wir Bauern sehen eine große Perspektivlosigkeit vor uns. Der standortgebundene Unternehmer wird in der Bundesrepublik immer mehr an den Rand gedrängt. Das Hauptproblem der derzeit Regierenden ist gar nicht, daß sie einer Ideologie anhingen, daß sie einem langangelegten politischen Plan folgten, sondern daß in ihren Vorstellungen die deutsche Heimat keinen Platz hat.

Entgegen den Verlautbarungen unseres Landwirtschaftsministern Özdemir habe ich mir meinen Beruf nicht ausgesucht, er ist eine Berufung. Eine Pflicht, die mir nach dem plötzlichen Tod meines Vaters auferlegt wurde. Noch während meiner landwirtschaftlichen Ausbildung entwickelte ich auf Initiative meines Großvaters mit meiner Familie ein Konzept, wie wir den seit Generationen im Familienbesitz befindlichen Hof nach diesem Schicksalsschlag fortführen konnten. Aufgeben kam nicht in Frage, denn damit wäre die Arbeit der letzten Jahrzehnte zunichte gemacht worden und ein wichtiger Teil der Dorfgemeinschaft weggebrochen. So wurde ich Hofnachfolger.

Schon 2019, im Jahr der Hofübernahme, gab es die ersten großen Bauernproteste. Diese wurden von der Initiative „Land schafft Verbindung“ ins Leben gerufen. Man wollte ein Zeichen gegen den Umgang mit den Bauern setzen. Die Dürrejahre 2018 und 2019 hatten die Landwirtschaft als „Wasserverbraucher“ in ein schlechtes Licht gerückt.

Wirkliche politische Durchschlagskraft haben die Proteste aber nicht entwickelt. Zu stark sind die Verflechtungen der großen Bauernverbände mit der Politik, die uns überhaupt erst in diese mißliche Lage gebracht hat. Es verwundert mich daher kaum, wenn der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied, vor wenigen Tagen Seite an Seite mit dem grünen Agrarminister Cem Özdemir stand und nichts als Phrasen von sich gab. Den „Erfolg“ seiner Herangehensweise haben ihm die grünen Minister einen Tag nach seinen Bekundungen bereits gedankt.

Jetzt ruft derselbe Bauernverband, der seit jeher mit den Mächtigen kuschelt, für den 8. Januar zu weiteren Demonstrationen in Berlin und anderen deutschen Städten auf. Gleichzeitig aber distanziert man sich pedantisch von „extremistischen Randgruppen“, die den Protest „kapern“ wollten. Es scheint, als wolle der Bauernverband lieber vor den Regierungsparteien gut dastehen, als die Situation der Bauern zu verbessern. Es scheint, daß die feinen Herren vom Bauernverband den Ernst der Lage nicht begreifen oder sich einen Dreck um die Bauern scheren, die aus ihren Höfen keine Großbetriebe machen: Eine schöne Bauernvertretung ist das.

Und trotzdem, werde ich nach Berlin fahren. Nicht aus Langeweile oder weil ich mir große Veränderungen erhoffe. Ich will ein Zeichen setzen und Kontakte knüpfen, um den bäuerlichen Protest in Zukunft noch konsequenter auf die Straße tragen zu können.

Es ist der 8. Januar 2024, früh am Morgen. Eigentlich sollte ich jetzt im Melkstand stehen. Doch heute sitze ich bereits seit einigen Stunden im Traktor und steuere auf die Bundeshauptstadt zu. Mit mir eine schwarze Fahne mit weißem Pflug und rotem Schwert. Nicht mit mir, nicht mit uns!

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Die Kehre ist eine Zeitschrift, die die Ökologie aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet. Jedes Jahr erscheinen vier Ausgaben, die mal mehr, mal weniger thematisch gebunden sind.

Ein Kommentar

  1. Carmen Hoffmann 6. Januar 2024 um 18:21 - Antworten

    Ein gut geschriebener Beitrag, der manchem Städter die Augen öffnet. Aber wie erwähnt, wenn die Leute in führender Position mit den Politikern noch gemeinsame Sache machen, wird man verunsichert. Ich gehe seit März 2020 jeden Montag Abend zur Demo, vor 30 Jahren schon für meine Kinder und jetzt für meine Enkel.
    Herr Hamkens wünsche ich Kraft für unser gemeinsames Vorhaben.

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