Proteste sind ganz grundsätzlich mal etwas Gutes, denn immer wenn breite Teile des Volkes ihren Unmut über die Regierung kundtun, entstehen auch für unser politisches Treiben Möglichkeiten. Oft wird in all der Euphorie seitens alternativer Akteure allerdings vergessen, daß auch Kritik an jenen angebracht ist, die hier auf die Straße gehen. Insbesondere in Sachen Landwirtschaft herrscht auf unserer Seite weitgehend eine romantische Vorstellung vor. Die Bauernproteste werden getragen von der Vorstellung von Familienbetrieben, die Hand in Hand mit Mutter Natur ihr Tagwerk bestreiten, mit den Tieren aufstehen und sich wieder schlafen legen, in idyllischer Gemeinschaft die Ernte einholen, den Hof an den ältesten Sohn vererben, alles für den eigenen Bedarf produzieren und Überschüsse auf dem Markt verkaufen.

Doch das ist natürlich alles längst nicht mehr so. Auf verschuldeten Höfen werden Feldfrüchte aus industriellem Saatgut in Monokulturen angebaut, mit Pestiziden, Herbiziden und anderen Agrochemieprodukten Boden, Grundwasser und Artenvielfalt bekämpft, die Ernte wird mit riesigen Maschinen mit GPS-Unterstützung und Autopilot eingefahren, dabei sitzt man allein in der Fahrzeugkabine, während die unendlichen Weiten befahren werden. Durch die immer größer werdenden Maschinen sind Kleinteiligkeiten nur störend, die immer größer werdenden Felder sind eine Folge des Effizienzzwangs, genau wie der Umstand, daß Höfe meist nur noch wenige Güter für die Börsen und den Weltmarkt produzieren und sich nicht mehr selbst versorgen. Die Eigentumsverhältnisse in der Landwirtschaft sind in Deutschland recht undurchsichtig, aber auch hier geht der Trend zu wenigen Stiftungen und Gesellschaften, die immer mehr landwirtschaftliche Fläche verwalten. Durch den Pflichtteil im Erbgang beginnt eine Übernahme des väterlichen Hofs meist mit hohen Schulden, wenn der Hof überhaupt übernommen wird.

Höfesterben

Anfang 2021 gab es in Deutschland noch 263.500 Höfe mit einer durchschnittlichen Fläche von 63 Hektar. 2000 waren es noch 472.000 mit einer Durchschnittsgröße von rund 35 Hektar gewesen. Laut einer Schätzung der DZ Bank wird es 2040 nur noch 100.000 landwirtschaftliche Betriebe mit einer durchschnittlichen Fläche von 160 Hektar geben. Bäuerliche Familienbetriebe werden wohl nicht mehr darunter sein. Diese Tendenz sollte alle Alarmglocken schrillen lassen, da dies eine zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft bedeutet mit all ihren negativen Folgen: immer mehr Chemieeinsatz, was sich in der Qualität des Bodens und der Lebensmittel niederschlagen wird. Der Effizienzzwang führte bereits ab Anfang der 1950er Jahre zu einem Angebot, das schneller wuchs als die entsprechende Nachfrage. Die Folge war ein Preisverfall, der dem Verbraucher natürlich erst einmal behagte, dem Bauern hingegen nicht. Und interessanterweise hört genau hier die Solidarität mit dem Bauern auch auf: an der Supermarktkasse. Da verlangt man lieber, daß die Bundesregierung zum Beispiel den Diesel subventioniert. Aber woher hat die Bundesregierung dieses Geld? Eine kleinteilige Landwirtschaft in der Hand familiärer Betriebe hätte gleich mehrere Vorteile, wovon die räumlich nahe Versorgung in der Region nur einer ist. Mehr dazu später.

Selbstversorgung und Welthandel

Insgesamt beträgt der Grad der Selbstversorgung bei Nahrungsmitteln in Deutschland rund 85 Prozent. Das klingt erst einmal recht solide, möchte man meinen. Allerdings sind Durchschnittswerte in erster Linie eines: irritierend. So liegt der Selbstversorgungsgrad für die Produktgruppen Kartoffeln, Schweinefleisch, Milch, Käse und Zucker etwa bei mehr als 100 Prozent, für Gemüse bei 38 und für Obst bei 20 Prozent. Hier stellt sich die Frage, warum von manchem mehr produziert wird, als man benötigt, solange es an anderen Dingen mangelt. Beziehungsweise: ob es jener überhaupt bedarf. Verlangt der Konsument ganzjährig nach Erdbeeren, ist klar, daß diese den Großteil des Jahrs über importiert werden müssen – meist mit exorbitanten Lieferketten aus überaus fragwürdigem Anbau.

Das Heft zum Thema. Die Kehre 10 »Nahrung«

Weltweit beträgt das Handelsvolumen der Agrarexporte rund 1,4 Billionen US-Dollar. Deutschland exportierte im Jahr 2017 rund ein Drittel der landwirtschaftlichen Gesamtproduktion mit einem Wert von 73,3 Milliarden Euro, während im gleichen Zeitraum Agrargüter im Wert von 85,6 Milliarden Euro importiert wurden. Wenn Fleisch und Fleischerzeugnisse im Wert von 7,6 Milliarden importiert und gleichzeitig im Wert von 9,8 Milliarden Euro exportiert werden, stellt sich doch die Frage, ob die Produktion am heimischen Kunden ausgerichtet ist. So waren die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die sich daraus ergebende Abhängigkeit der Konsumenten von den Landwirten ein Argument, mit dem zur Solidarität aufgerufen wurde.

Unsere Böden

Die industrielle Landwirtschaft pflegt entgegen eigenem Bekunden keinesfalls die Böden. Das Gegenteil ist richtig. Durch den Einsatz schwerer und großer Maschinen, die mehrfach pro Jahr über die Äcker fahren, verdichtet sich das Bodengefüge. Besonders in der Forstwirtschaft ist das ein Problem, dessen schädliche Folgen noch immer ignoriert werden. Durch zu hohe Stickstoffgaben kommt es darüber hinaus auch zu Verschmutzungen des Grundwassers. Ammoniumeintrag führt zur Versauerung und somit einer Schädigung des Pflanzenwachstums. Hinzu kommen rund 30.000 Tonnen Pflanzenschutzmittel, die jährlich abgesetzt werden, wovon die Hälfte auf Herbizide entfällt. Die Wirkbreiten dieser Agrarchemikalien sind dabei so hoch, daß nicht zwischen nützlichem oder schädlichem Empfänger unterschieden werden kann, teilweise schädigen sie auch den Menschen. Über Langzeitschäden und Aufnahme durch die gespritzten Produkte ist nur wenig bekannt.

Durch großflächiges Pflügen wird der Mutterboden außerdem der Erosion preisgegeben. Mangelnde Hecken tragen dazu bei. Doch Hecken bringen keinen Ertrag und stören auch sonst beim Arbeiten mit den großen Maschinen. Daß sie nicht nur den Wind und damit die Bodenerosion bremsen, sondern auch ein wahrer Hort der Artenvielfalt für Fauna und Flora sind, ist dabei längst bekannt.

Wichtiger Garant Nebenerwerb

Die Nebenerwerbslandwirtschaft stellt nicht nur rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland – wobei es hier große Unterschiede in Nord und Süd sowie Ost und West gibt –, sie ist auch der Garant für eine kleinteilige Höfestruktur, die insbesondere für unsere Kulturlandschaften von elementarer Bedeutung ist. Auch findet dort mehr extensive Bewirtschaftung statt, was an sich schon der Artenvielfalt sowie dem Erhalt oft seltener Nutztierrassen zuträglich ist, handelt es sich doch auch oft um Liebhaberprojekte. Kleine Parzellen sind nicht so leicht industriell und intensiv zu bewirtschaften, Nebenerwerbslandwirte sind überdies nicht so sehr marktwirtschaftlichen Zwängen unterworfen, da sie einem weiteren Broterwerb nachgehen. Wer nebenberuflich Landwirtschaft betreibt, kann wahrlich Bauer sein. Seitens der EU wird dies hingegen nicht sonderlich wertgeschätzt, beziehungsweise finden Nebenerwerbslandwirte nur selten eine Lobby bei der Überarbeitung der Förderrichtlinien. So ist der bürokratische Aufwand seit langer Zeit nur für Vollerwerbslandwirte realisierbar und drängte schon den einen oder anderen Nebenerwerbslandwirt aus seiner Passion. Schon länger ist von einem »echten Landwirt« die Rede, der allein Zugang zu den Fördermilliarden der EU erhalten soll – genau das ist der Nebenerwerbler in den Augen des Gesetzgebers nicht. Interessanterweise senden die Vertreter der Bauernverbände recht unterschiedliche Signale in dieser Angelegenheit. So finden sich beim Bundesverband und dem Landesverband Bayern zwar eindeutige Positionierungen pro Nebenerwerb, allerdings kann sich der Präsident des sächsischen Bauernverbands dieses Konzept explizit vorstellen. Und auch das sonstige Lobbytreiben der Verbände scheint den EU-Plänen wenig entgegenzuhalten. Hier zeigt sich die politische Verankerung der Verbände in der Union, die auch Ursache für die neuerlichen Proteste zu sein scheint. Denn unter CDU-Ägide fällt das große Höfesterben zu Gunsten immer größerer landwirtschaftlicher Betriebe. Es wird sich für die Großen stark gemacht, statt den Kleinen zum Wohle des Volks den Rücken zu stärken.

Abkehr von der Landwirtschaft

Um die Landwirtschaft zu retten, müssen wir von ihr abkehren. Denn sie hat mit Bauerntum nichts zu tun, sie ist vielmehr der diametrale Gegensatz. Doch wie soll das gelingen?

Zuallererst braucht es mehr Bauern und mehr bäuerliche Betriebe. Eine höhere Wertschätzung kann es nur geben, wenn wieder hochwertige Produkte erzeugt werden, die auch regional zu gerechten Preisen angeboten werden. Je weniger »mitschneiden«, desto mehr bleibt dem Bauern, und desto weniger legt der Kunde drauf. Doch auch auf Kundenseite muß sich einiges ändern, und das ist politisch natürlich nur wenig sexy. Bescheidenheit, saisonale und regionale Küche, »Nose to Tail« – das sind nur einige Stichworte hin zu gesundem Konsum. Das oft gebrachte Argument, man könne sich Bio nicht leisten, lasse ich nicht gelten, solange jedes Jahr ein neues Handy, ein Pauschalurlaub und die Zigarettensucht finanziert werden können. Die Mehrheit ist schlicht zu bequem, ihre Gewohnheiten zu ändern, und nicht bereit, auf gute Lebensmittel Wert zu legen.

Doch zurück zu den Bauern. Diese sind nur zu oft Getriebene eines Systems. Und daran sind weder die Ampel noch vorherige Regierungen allein schuld – außer dadurch, daß sie dies nicht grundlegend geändert haben und auch nicht ändern wollen. Doch auch die Bauern sollten bereit zu Änderungen sein, wollen sie auf Dauer überleben. Helfen kann hier eine Wiedereinführung des Anerbenrechts, um der Hofteilung oder gar Hofaufgabe zu begegnen und das Bauernsterben aufzuhalten. Boden muß ein unveräußerliches Gut werden, das den Bauern zur Bewirtschaftung in Erbpacht übergeben wird. Daß Stiftungen landwirtschaftliche Flächen aufkaufen, muß verunmöglicht werden. Die landwirtschaftliche Produktion muß sich an der Notwendigkeit und dem Bedarf vor Ort ausrichten. Das Potential unserer Böden darf nicht zu Gunsten des Welthandels gemindert werden.

Daß kleinteilige und bewußte Landwirtschaft ohne Chemieeinsatz möglich ist, zeigen in Deutschland mehr als 1500 Höfe, die biodynamisch nach Demeter-Richtlinie produzieren und dabei mehr als 85.000 Hektar bewirtschaften. Das umfaßt kleine und große Höfe, die allesamt wirtschaftlich eine positive Bilanz aufweisen und zeigen, daß ein gesundes Verständnis von Mensch, Tier und Boden zukunftsfähig ist.

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Die Kehre ist eine Zeitschrift, die die Ökologie aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet. Jedes Jahr erscheinen vier Ausgaben, die mal mehr, mal weniger thematisch gebunden sind.

Ein Kommentar

  1. Müller 6. Februar 2024 um 10:32 - Antworten

    Danke, dass ihr das ansprecht! Ackergifte reduzieren nicht nur die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren, sondern auch die der Bodenorganismen, die für die langfristige Fruchtbarkeit der Böden verantwortlich und bisher kaum erforscht sind. Wir beuten unsere Böden rücksichtslos auf Kosten kommender Generationen für Export und Profit aus.
    Außerdem weiß niemand, was der Ackergiftcocktail, der inzwischen überall in der Luft in Deutschland und im Urin von Studienteilnehmern nachweisbar ist, mit unserer Gesundheit anstellt. Wissenschaftlich untersucht ist nur die Wirkung der einzelnen Stoffe, wobei die Zulassungsbehörden auch noch großteils die durch die Agrarchemiekonzerne finanzierten – und damit nicht unabhängigen – Studien abschreiben. Nachweislich senken viele dieser Agrargifte in der entsprechenden Konzentration die Fruchtbarkeit auch bei Menschen. Die krebsfördernde Wirkung ist allgemein bekannt. Auch die Symptome fon Menschen mit Alzheimer und der von Bienen, die mit Neonicotinoiden kontaminiert sind, ähneln sich frappierend. Siehe z. B. https://enkeltauglich.bio/start/pestizide/ oder https://www.boell.de/de/bodenatlas.

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