In Ihrem Buch Tiere und Menschen. Der Platz des Menschen in der Natur schreiben Sie, das Christentum habe einen Keil zwischen Mensch und Natur getrieben, indem es den Menschen als Ebenbild Gottes von der übrigen Schöpfung abgetrennt habe. Liegt in dieser Trennung tatsächlich der Schlüssel zum Überschreiten aller natürlichen Grenzen, oder wird damit nicht nur eine anthropologische Tendenz zur Übernutzung des Natürlichen religiös institutionalisiert, die bereits bei den Naturvölkern vorhanden war und sich in der Ausrottung bestimmter Tierarten (Moa, Höhlenbär etc.) manifestierte?

Es geht nicht allein um die »Übernutzung des Natürlichen«. Die christliche Theologie hat da ihre Besonderheit. Sie beruht grundlegend auf der Unterscheidung zwischen dem ungeschaffenen Sein und dem geschaffenen Sein, zwischen Gott und seiner Schöpfung. Diese Unterscheidung führt notwendig zu einer Abwertung der natürlichen Welt. Sie wird nicht grundsätzlich entwertet, die Schöpfung wird sogar für »gut« erklärt (außer bei einigen Autoren – Augustinus, der in seiner Jugend Manichäer war, ging sogar so weit, zu sagen: »Die Welt ist widerlich«). Aber sie ist mit Unvollkommenheit behaftet, während Gott per Definition vollkommen ist. Das geschaffene Sein ist nicht mehr das Sein an sich, sondern ein »höchstes Sein«, wie Heidegger deutlich gemacht hat. Von daher verliert die Natur jede Sakralität. Das Christentum hat die Entsakralisierung der Welt zur Folge, ein Prozeß, der in der Entzauberung gipfelt, von der Max Weber spricht. Das Christentum ersetzt das Heilige durch den Heiligen, was ganz und gar nicht dasselbe ist, denn die Heiligkeit des Heiligen ist in erster Linie ein moralischer Begriff. Zuvor gab es heilige Orte, heilige Flüsse, heilige Berge, heilige Wälder, heilige Haine usw. Von nun an wird man von heiligen Angelegenheiten sprechen: der Heilsgeschichte, der heiligen Familie, der Heiligen Stadt, der hochheiligen Eucharistie etc.

Zu diesem ersten Umbruch gesellt sich ein weiterer, der den Menschen vom Rest des Tierreichs trennt: Der Mensch wird als einziger Besitzer einer unsterblichen Seele angesehen, während zuvor die Seele lediglich das Prinzip alles Lebendigen war (nicht zufällig ist das lateinische Wort anima für »Seele« im Namen animal für »Tier« enthalten). Die Bibel macht aus dem Menschen den König der Schöpfung, sie erklärt ihn zu deren Herrscher. Sie macht ihn, wie Descartes sagen würde, zum »Herren und Souverän der Natur«. So steht es klar und deutlich in der Genesis: »Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan« (Gen 1,28). Natürlich kann man versuchen, die Bedeutung der letzten Worte aufzuweichen, indem man sagt, daß Gott in Wirklichkeit den Menschen zum Bewahrer der Erde eingesetzt habe, der ihre Verwüstung verhindern solle – doch der hebräische Begriff für »macht sie euch untertan« (כבשׁ) ist unmißverständlich: Es geht um Herrschen, um Unterwerfen.

Die ökologische Kritik am Christentum unterscheidet für gewöhnlich zwischen der Naturfeindlichkeit der verschiedenen Kirchen, wobei ihr die orthodoxe Kirche als die naturfreundlichste und die protestantische als die naturfeindlichste gilt – mit dem Katholizismus in einer Mittelposition. Teilen Sie diese Einschätzung?

In dieser Beurteilung liegt offenbar ein Teil der Wahrheit, aber man muß sie flexibel betrachten. Die Haltungen haben sich den Umständen und den persönlichen Neigungen des einen oder anderen angepaßt (von den »Häretikern« ganz zu schweigen). So ist die Art und Weise, wie die Rheinromantik die Natur betrachtet, ganz offensichtlich nicht diejenige des heiligen Augustinus. Auch das Beispiel des Franz von Assisi (sein Sonnengesang, dessen erste Worte 2015 der Enzyklika »Laudato si’« von Papst Franziskus den Titel gaben) oder der Hildegard von Bingen (ihre im Liber divinorum operum dargelegte Naturphilosophie) gibt zu denken. Es versteht sich, daß es katholische Umweltschützer geben kann, auch protestantische (ich denke da an einen Autor wie Jacques Ellul). Das ändert jedoch nichts an den theologischen Grundsätzen, die ich schon erwähnt habe.

Die Tatsache, daß – global betrachtet – der Katholizismus im Verlauf der Geschichte »naturfreundlicher« war als die protestantischen Kirchen, erklärt sich meiner Meinung nach daraus, daß er vor allem im Mittelalter stärker vom Heidentum beeinflußt wurde. Man weiß, daß der christliche liturgische Kalender von den Heiden übernommen wurde, genauso wie die Namen der Wochentage, daß Kirchen systematisch an Plätzen errichtet wurden, an denen früher heidnische Kultstätten standen usw. Dies ist die ganze Doppeldeutigkeit des »Heidenchristentums«, das lange Zeit in der Volksreligion fortbestand und heute verschwunden ist, zusammen mit der bäuerlichen Welt. Die Theologie aber hat sich nicht verändert.

Sie charakterisieren in Tiere und Menschen das Christentum als Wegbereiter des Individualismus und Rationalismus und somit als Wegbereiter der Moderne. Folgt der christlichen Entsakralisierung der Natur nun die christliche Säkularisierung des Christentums – und damit seine Abschaffung aus sich selbst heraus?

Wenn ein Ideenhistoriker die Entwicklung von Individualismus und Rationalismus erforscht, kommt er nicht umhin, festzustellen, daß das Christentum eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Doktrinen gespielt hat. Die Bedeutung, die der Katholizismus der Vernunft beimißt, ist allgemein bekannt – nicht, weil der Glaube jemals rein rational sein könnte, sondern weil von jedem Menschen erwartet wird, daß er für das, was er denkt und tut, seine Gründe angeben kann. Das Problem ist, daß sich die Vernunft im Laufe der Jahrhunderte schließlich gegen ihre Förderer gewandt hat, indem sie sich in den Dienst der Glaubenskritiker stellte. Der Rationalismus eines Thomas von Aquin wich einem antichristlichen Rationalismus. In diesem Sinne kann man sagen, daß das Christentum die Gründe seiner Anzweiflung und seines Niedergangs selbst geschaffen hat. Hieraus erwuchs die These von Marcel Gauchet, der das Christentum als »die Religion des Ausstiegs aus der Religion« definiert.

Der christliche Individualismus stammt daher, daß der Mensch sein Heil aus eigener Kraft erlangen soll und sich dadurch metaphysisch von den Gemeinschaften, denen er angehört, ablöst. Er ist Mensch, bevor er Bürger ist. Er gehört der Menschheit unmittelbar an, nicht vermittelt über eine Kultur. Gestärkt wird der Individualismus noch durch die augustinische Theorie, daß die Erkenntnis Gottes vor allem im »tiefsten Inneren«, also ganz individuell erlangt werde. Im Mittelalter behauptete der Nominalismus, daß es kein Sein jenseits des je singulären Seins gebe, eine Theorie, die schließlich im modernen Liberalismus gipfelte. Der Individualismus geht einher mit dem Universalismus: Das Volk Gottes kennt per Definition keine Grenzen.


Wer das gesamte Interview mit dem Grandseigneur der Nouvelle Droite lesen möchte, der greift hier zu:

 

 

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Die Kehre ist eine Zeitschrift, die die Ökologie aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet. Jedes Jahr erscheinen vier Ausgaben, die mal mehr, mal weniger thematisch gebunden sind.

geb. 1989, ist Chefredakteur der Zeitschrift »Die Kehre«. Studium der Politkwissenschaft sowie der Soziologie und Sozialforschung (M.A.).

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