Die Bauernproteste rufen nicht nur Solidarität hervor, sondern werfen auch kritische Fragen auf. Hier sind meine wichtigsten: Wo waren all die wütenden Bauern während der Corona-Maßnahmen? Oder bereits 2015? Wieso ließ man sich über Jahrzehnte von bauernfreundlich auftretenden CDU-Staatssekretären einlullen, während die Partei den Niedergang des deutschen Bauernstandes in Land, Bund und in Brüssel vorantrieb? Reicht ihnen tatsächlich eine typisch konservative Rückkehr zum Status Quo einiger Jahre zuvor, obwohl die Fahrtrichtung schon damals unzweifelhaft klar gewesen ist? Wie gedenkt der eher grundsätzlich denkende Teil der Bauern, seine Forderungen nachhaltig in die Politik zu tragen? Und ist er zu diesem Zwecke auch bereit, lächerliche Distanzierungen endgültig über Bord zu werfen?

Man könnte sicherlich noch mehr Fragen stellen, oblgeich viele von ihnen, wie auch einige der oben genannten, zwecklos sind und an der eigentlich wesentlichen Tatsache vorbeigehen. Nämlich dass einer der wichtigsten deutschen Stände – noch dazu einer der wenigen, die sich noch im entferntesten »Stand« nennen können – durch Existenzangst stetig wachgerüttelt wird. Denn die »schon länger Demonstrierenden« mögen sich manche der obigen Fragen in abgewandelter Weise schon vor beinahe zehn Jahren gestellt haben, als PEGIDA plötzlich mit Parolen hausieren ging, für die man zuvor noch als Nazi beschimpft worden ist. Bitterkeit hilft aber nichts. Wir können die Trägheit der Menschen, die erst handeln, wenn sie selbst bedroht sind, nur erkennen und das Beste aus ihr machen.

Aber zurück zu den Bauern. Im Kehre-Artikel »Bauernproteste – oder doch »nur« Landwirte?« von Jörg Dittus wird ausgiebig auf die Sünden und Laster des deutschen Bauernstandes eingegangen und ebenjenem sogar der Status des Bauernstandes teilweise abgesprochen. Für diese Bauern will ich, ein aus idealistischen Gründen quereingestiegener Landwirtschaftsgeselle, der selbst (noch) kein Bauer ist, eine Lanze brechen.

Den Bauern kein Vorwurf

Im oben genannten Artikel werden alle zu erwartenden Schlagworte gebraucht. Es geht um den verschuldeten Haupterwerbsbauern, der mit industriellem Saatgut Monokulturen anbaut, alles andere mit Pflanzenschutzmitteln totspritzt und sogar »Artenvielfalt bekämpft«. Das mag in vielen Fällen mehr oder weniger zutreffen, ist aber schlicht ein Zerrbild der täglichen Arbeit unzähliger deutscher Haupterwerbsbauern.

Vor allem wenn als Gegenkonzept die Demeter-Bauern genannt werden. Demeter-Produkte sind freilich kaufenswert. Es gilt allerdings, auch hier kritische Fragen zu stellen: Ist Gemüse mit dem Schwermetall Kupfer zu belasten, tatsächlich besser als mit einer potenziell abbaufähigen Chemikalie? Wie viele Demeter-Bauern arbeiten eigentlich pfluglos und vermindern damit Erosion? Je weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, desto schwieriger wird nämlich konservierende Bodenbearbeitung. Und desto mehr Überfahrten sind nötig, was wiederum das Risiko von Bodenverdichtungen erhöht. Vor allem aber: Wie viele der 1.500 im Artikel angepriesenen Demeter-Bauern können das im Nebenerwerb tun? Gerade wenn sie Direktvermarktung betreiben?

Der Nebenerwerb ist das im vorgenannten Artikel aufgestellte Ideal, dem die zukünftige bäuerliche Landwirtschaft entspringen könne. Ich muss dabei schlagartig an den Lehrmeister meines ersten Lehrbetriebes, eines konventionellen, familiären Milchviehhofes, denken. Mein Meister konnte schon als junger Mann gut programmieren. Zuerst auf dem Commodore 64, dann später am herkömmlichen Windows-PC. Seine Tätigkeit war mit der Zeit so erfolgreich und lukrativ, dass sie mit weit weniger Arbeit in etwa so viel abwarf, wie der Hof. Beides konnte er auf Dauer nicht vollständig betreiben, also wollte er sich entscheiden. Er erinnerte sich daran, dass sich der Hof mindestens seit dem 16. Jahrhundert im Familienbesitz befindet und dass sein jüngstes Kind, nachdem die beiden älteren andere Berufe ergriffen hatten, nur einen zukunftsfähigen Hof übernehmen würde. Er hing seine Programmierleidenschaft vorerst an den Nagel, baute einen Boxenlaufstall, stockte auf 120 Milchkühe zuzüglich Nachzucht auf und betreibt inzwischen mit dem jüngsten Kind, das sich durch diese Entscheidungen traute, Agrarwirtschaft zu studieren, eine erfolgreiche Direktvermarktung. Er hätte freilich auch Nebenerwerbsbauer werden können und wäre laut oben genanntem Artikel dann »nicht so sehr marktwirtschaftlichen Zwängen unterworfen« gewesen. In Wirklichkeit hätte er seine 30 Kühe dann weiterhin in Anbindehaltung belassen und eines Tages die Pforten seines Hofes als letzter einer urwüchsigen Ahnenreihe für immer schließen müssen. Er hat es zum Glück nicht getan. Jetzt blüht der Hof und wird noch weitere Generationen dieser Familie sehen. Nicht ohne Pflanzenschutzmittel und leider nicht pfluglos, aber auch nicht stümperhaft oder voller »Monokulturen«, wie heutigen Bauern gerne pauschal und oft fälschlicherweise unterstellt wird.

Vergessen wir eines nicht: »Bäuerliche Landwirtschaft« wurde vielfach, unterschiedlich und oft nichtssagend definiert. Die ernstzunehmenden und aussagekräftigen Definitionen nennen aber immer die Weitergabe des Hofes an die nächste Generation als den Hauptzweck dieses wunderbaren Agrarsystems, das unser Vaterland einst flächendeckend überzog. Deshalb grenzt die Agrarsoziologie die bäuerliche Landwirtschaft auch deutlich ab von materialistischen Agrarsystemen. So beruht die amerikanische Farmwirtschaft zwar ebenfalls auf Privatbesitz. Da allerdings die Kapitalerzeugung ihren Hauptzweck darstellt, steht sie kommunistischen Agrarsystemen viel näher, als unserer bäuerlichen Landwirtschaft. Dies wird glücklicherweise auch heute noch in den Agrarhörsälen gelehrt, wenn man sich für das Modul Agrarsoziologie entscheidet.

Ein Nebenerwerbshof lädt die nächste Generation meist eben nicht zum Weiterbetrieb ein, der doch das eigentliche Ziel bäuerlicher Landwirtschaft ist. Kein Wunder: Selbst wenn der Erbe die Leidenschaft für den Nebenerwerb teilt, so wirft der Hof oft nicht mal genug ab, um die eigene Instandhaltung zu sichern. Er verfällt oder zehrt von altem Vermögen. Es gibt gute Gründe, warum Nebenerwerbsbauern sich selbst oft »Hobby-Bauern« heißen. Es ist ein Hobby, bei dem die schwarze Null für einige schon ein Traum ist. Dass Nebenerwerbsbauern manches Mal auch deshalb keinen Nachfolger haben, weil sich keine Frau die unwirtschaftliche Endlosarbeit antun wollte, klingt zunächst nach billigem Klischee, ist auf dem Land aber häufiger Wirklichkeit als man glauben mag. Wer den Nebenerwerb rundheraus preist, dem empfehle ich jedenfalls, sofern noch nicht geschehen, mit gutem Beispiel voranzugehen und sein Tagwerk um landwirtschaftliche Erzeugung zu erweitern.

Alte und neue Bauern vereint

Womit ich zu einem wesentlichen Punkt komme: Die Subsistenzwirtschaft ist in der Tat Ursprung des Bauerntums und seiner Tugenden. In einer Zeit, in der die Mehrheit des Volkes sie noch betrieben hat, war sie Quell unerschütterlicher Bodenständigkeit, Härte, Tugendhaftigkeit, eines tiefen Glaubens, Achtung vor der Schöpfung und bedingungsloser Vaterlandsliebe. Wer den Verlust dessen nicht bedauert, dem kann nicht geholfen werden. Aber sind es wirklich die wenigen verbliebenen Vollzeitbauern, noch dazu diejenigen, die sich jetzt gegen groteske Politik auflehnen, die am meisten eine schockartige Rückbindung nötig haben? Haben sie sich mit ihren »riesigen Maschinen« vom Ursprung am weitesten wegbewegt und brauchen jetzt dringend was auf die Finger? Oder war das nicht viel mehr derjenige, der Omas Gemüsegarten versiegelt hat und Opas Streuobstwiese jetzt mit dem Rasenmähroboter nach englischer Art kurz hält?

Ja, wir brauchen »mehr Bauern«. Das erreichen wir aber nicht, indem wir uns von den letzten Bauern abwenden und es ihnen damit so richtig zu zeigen glauben. Wir erreichen das viel mehr, indem wir selbst Bauern werden. Mit einem Gemüsebeet, ein paar Hühnern und – sofern wir die Möglichkeit haben – ein paar Schafen auf Opas Streuobstwiese. Wer dem heutigen Bauern die Entfernung vom Urbild vorwerfen will, der sollte diesem Urbild doch zumindest eine Handbreit näher sein und damit zum Vorbild werden.

Vor allem sollten wir aber die Prioritäten nicht aus den Augen verlieren: Verliert Deutschland seinen Bauernstand, verliert es für die Zukunft einen wesentlichen Kulturträger und, wenn es auch derzeit nicht so wirkt, einen Quell deutscher Bodenständigkeit. Es mag sicherlich von der Herkunftsregion abhängen, wie sich die eigenen Erfahrungen darstellen. Doch vielerorts ist der Bauernstand noch der letzte starke Träger des Ehrenamtes und des örtlichen Dorf- und Vereinslebens.

Und bei allem Idealismus: Die kleinteilige Subsistenzwirtschaft wird uns Pioniere nicht über Nacht zum angestrebten Bauernstand machen. Vermutlich auch nicht innerhalb von nur einer Generation. Alexander der Große eroberte die Welt mit Männern, die sein Vater erst einige Jahre zuvor zum Kriegeradel gemacht hatte. Doch ihre Tugenden gewannen sie in den Jahrhunderten davor, die sie und ihre Väter als Hirten zubrachten.

Die politisch verursachte Erosion des Bauernstandes zerstört innerhalb von Jahrzehnten eine Essenz, die über Jahrtausende destilliert wurde. Wenn ein Bauer seinen Betrieb zur Zeit Karls des Großen zurückverfolgen kann, was in mancher Gegend häufiger ist, als der Leser glauben mag, dann rechtfertigt auch die zweifelhafte Wirtschaftsweise einer oder zweier Generation nicht, dass dieser Hof nun wegen irrer Politik vor die Hunde geht. Dieser Hof und seine Familie können analog zum ganzen Volke eines Tages aus einem modernen, materialistischen Schlummer erwachen und zu seinen Wurzeln zurückkehren. Diese Höfe sind es wert zu überleben. Und wo sie existieren, da stellen sie nicht selten einen noch unüberwindlichen Wall gegen die gierige Kaufsucht fremder Investoren dar. Zumindest solange die Bauern von ihrem Tagwerk noch leben können und ihre Kinder Zukunft in diesem Stande sehen.

Ja, Deutschland und seine Landwirtschaft brauchen ein Stück Deindustrialisierung. Aber erstens nicht um jeden Preis. Zweitens nicht zugunsten der im Artikel ebenfalls kritisierten globalen Stiftungen. Und drittens nicht als Selbstzweck, sondern zum Wohle unseres Volkes und Vaterlandes. Die postmoderne Politik deindustrialisiert niemals zu unserem Wohl, sondern stets zu unserem Schaden. Deshalb lohnt es, die Bauern in ihrem noch halbgaren Aufstand zu unterstützen. Und zugleich die Tugenden zu üben, die wir in ihnen womöglich vermissen.

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Die Kehre ist eine Zeitschrift, die die Ökologie aus einer grundsätzlichen Perspektive betrachtet. Jedes Jahr erscheinen vier Ausgaben, die mal mehr, mal weniger thematisch gebunden sind.

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